Teil 2: [Narzisstische] Gruppendynamiken und der Sündenbock
11. November 2024Toxische & narzisstische Gruppendynamiken | Sündenbock | psychischer Missbrauch
Dieser Beitrag ist Teil 3 und wird das Thema Mobbing & narzisstisch angeführte Gruppendynamiken weiterführen. Im ersten Grundlagenteil ging es vorwiegend darum, wie Gruppen grundsätzlich aufgebaut sind und zwar anhand des Modells der Rangdynamischen Positionen nach Raoul Schindler. Dies wurde bereits in Bezug zu narzisstisch angeführten Gruppen in Beziehung zum Sündenbock gesetzt.
In Teil 2 widmeten wir uns der Frage, wie Mobbing definiert wird sowie welche Rolle dabei die Gruppenmitglieder – und in narzisstisch angeführten Gruppe die Flying Monkeys & Enabler – spielen.
In diesem 3. Teil geht es nun um die Omegaposition in gesunden Gruppen versus den Sündenbock in schwachen / mobbenden Gruppen. Auch werden wir einmal auf den Umstand schauen, warum bei wahren Opfern das „Zum-Opfer-werden“ sehr Scham auslösend ist, warum (vor allem verdeckte) Narzissten aber immer absichtlich das Opfer spielen.
Omega vs. Sündenbock
Der Omega ist in gesunden Gruppengefügen kein Opfer. Raoul Schindler beschreibt diesen Zwar als „Gegenspieler“ des Alpha, er ist aber erstmal keine Gefahr. Zwar kann er zur Gefahr werden, da er sich oft traut, Missstände tatsächlich aufzudecken und damit auch oft Führungspotenzial hätte, seine Position ist aber eigentlich eine der Gruppe Schutz bietende, da er die Art und Weise zum Gruppenziel zu gelangen anders hinterfragt und Schwierigkeiten eher sieht, als die anderen Gruppenmitglieder. Wie gesagt, normal-gesunde Gruppen sind dynamisch und er ist nicht immer der einzige oder derjenige, der eine Gegenposition einnimmt. Er hat halt diese Tendenz. Und er hat entsprechend eine sehr wichtige Position, von der alle sehr profitieren können, wenn ein gruppenorientierter Alpha in der Lage ist, diesen als integriertes Gruppenmitglied zu sehen. Er hat irgendwie die Fähigkeit, sich nicht einfach mitreißen zu lassen. Und er ist dadurch in manipulativen Situationen erstmal auch nicht so manipulierbar, da er nicht automatisch der Gruppe folgt.
Integriert der Alpha aus welchem Grund auch immer den Omega nicht, kann es durchaus schnell passieren, dass die Gruppe den Omega als Störenfried auf dem Weg zum Gruppenziel ansieht, wodurch er bereits zu jemandem wird, dem als Einzelner eine Gruppe entgegensteht – also bereits in einer eigentlich normal-gesunden Gruppe.
Der Omega kann dadurch schnell zum Sündenbock werden. Charakteristisch ist dann für ihn, dass er irgendwie anders als der Rest der Gruppe ist. Die Omegaposition als solches ist bereits irgendwie anders und darin ist sie auch sichtbar und angreifbar für alle. Die Mitglieder der Gruppe hingegen sind als Einzelne nicht auf diese Weise sichtbar. Die Gruppe bietet den einzelnen Gruppenmitgliedern einen Schutz vor der Sichtbarkeit als Einzelner – das ist auch schnell das, was zu Gruppenzwang führt, denn häufig wollen wir nicht auffallen, weil uns das Schutz entzieht. Unser menschliches Nervensystem ist rein biologisch gesehen bereits vorrangig genau darauf ausgelegt: auf Schutz des Einzelnen (über das autonome Nervensystem) und das innerhalb der Gruppe. Genau aus diesem Grund gibt es ja soziale Konstrukte, wie Familie, Freundeskreise, Gemeinschaften jeder Art, um den einzelnen Mitgliedern Schutz zu geben, den sie alleine nicht hätten. Und da wir soziale Wesen sind, ist es für uns schon fast überlebenswichtig, in der Gruppe mitzulaufen – aber es ist genauso wichtig für gesunde Gruppen, im Diskurs zu bleiben, da sonst die Dynamik flöten geht und es starr und ungesund wird. Und darüber lassen sich Gruppenmitglieder alleine bereits häufig steuern, obwohl ein viel besseres Ergebnis für alle erreicht werden könnte, wenn die Meinung eines Außenstehenden mit einbezogen werden würde.
Wir gehen hier gerade zudem von erwachsenen Menschen im Arbeitsumfeld aus. Mein Thema ist aber vor allem der narzisstische Sündenbockmissbrauch in dysfunktionalen, sehr stark narzisstisch geprägten Familiensystemen, in denen ein Kind nicht als Gegenspieler eines narzisstischen Elternteils angesehen werden kann. Kein normal-gesunder Erwachsener würde das so sehen (und ich meine auch hier nicht im diskriminierenden Sinne frei von mentalen oder psychischen oder sonstigen Krankheiten im Allgemeinen, sondern im Bezug auf sich antisozial auswirkende Persönlichkeiten). Narzissten sehen es aber so, was es für das ausgewählte Sündenbockkind ja gerade so hochtraumatisierend werden lässt.
Gerade im narzisstischen Umfeld wird Menschlichkeit in unmenschliches Verhalten umgekehrt. Bei Narzissten ist sowieso sehr häufig alles ins Gegenteil zu einem normal-menschlichen Zustand verdreht.
Mobbing und der Sündenbock
Ich hatte ja den Ausgangspunkt von einer gesunden Gruppe, in der der Omega dadurch zum Sündenbock werden kann, dass er die Gegenposition zum Alpha einnimmt. Bei Mobbingsituationen – bspw. in der Schule, wo Schüler zu Mobbingopfern anderer Schüler werden, haben wir es sehr häufig nicht mit Menschen zu tun, die in irgendeiner Form Gegenwehr leisten. Die Gegebenheiten alleine sprechen häufig grundsätzlich bereits dagegen. Häufig werden sie einfach aus Neid oder anderen negativen Antrieben angegriffen, attackiert und schickaniert und über die bereits beschriebene Gruppendynamik dann ausgegrenzt.
Die Opfer werden in diese Omega- / Sündenbockposition hineingedrückt, oft ohne überhaupt jemals irgendwelche Kriterien eines Gegenspielers zum Alpha zu erfüllen, bis auf den Umstand, dass der Mobbingtäter hier in sich irgendwelche ungelösten Konflikte hat, die sich z.B. in ihm als Neid ausdrücken, und durch seine Verdrehungen anderen gegenüber – bspw. der Behauptung, das Opfer habe die Schickanen verdient, da er oder sie arrogant sei, führt das dazu, dass auch andere dies als Legitimation des Mobbings und der Ausgrenzung nutzen können. Bei Narzissten ist es so, dass sie durch die Projektion ihres Selbsthasses auf das Opfer, wo häufig auch sehr viel Neid mit einspielt, z.B. weil das Kind sehr empathisch (und dadurch liebesfähig!) ist oder etwas einfach gut kann oder so aussieht, wie der Narzisst gerne aussehen würde oder es einfach eine Gefahr darstellt, weil es die Missstände sieht und auch irgendwann in der Lage sein würde, diese auszudrücken. Hinzukommen das Grandiositätsgefühl, der Empathiemangel etc., was dasDesaster für das Opfer natürlich untermauert.
Versucht das Kind Grenzüberschreitungen abzuwehren, z.B. durch Wut – wofür Wut da ist – wird es unterdrückt und vorgeführt darin, diese Grenze zu setzen. Eine Taktik, um dem Kind die Sprache dafür zu nehmen, was es ehrlich zum Ausdruck bringt. Beschämung bringt das Opfer zum Schweigen. Genauso wie die Verwirrungs- und Manipulationstaktiken, die ein Kind gar nicht erklären kann, wie zum Beispiel Gaslighting oder auch das Machtgefälle der Familienmitglieder dem Sündenbock gegenüber. Beispielsweise könnte über das Kind in seinem Beisein gesprochen werden, als wäre es nicht da und alle machen sich lustig: „Schau dir an, was dein Bruder da wieder macht. Kann nicht mal die Gabel richtig halten.“
Das Sündenbockkind in narzisstisch-geprägten Familiensystemen und die Geschwister
Es gibt ja viele Berater und Aufklärer, die sagen, dass die Geschwisterkinder des Sündenbockes manchmal auch solidarisch sind und selbst dadurch traumatisiert werden, dass sie die Schickanen mit ansehen müssen. Zudem wird behauptet, dass die Rollen innerhalb der Familie jederzeit wechseln können – also dass das Goldkind schnell zum Sündenbock werden kann und umgekehrt.
Ich denke, dass hier mehrere Formen dysfunktionaler Familiensysteme miteinander in einen Topf geworfen werden. Einmal gibt es die traumatragende Familie – sei es aufgrund psychischer Krankheiten, Süchte, Gefängnisaufenthalte oder auch transgenerationaler Traumatisierungen und ähnliches. Hier kann meiner Ansicht nach aufgrund von beispielsweise Hilflosigkeit der Eltern tatsächlich der Mechanismus der psychologischen Erleichterung so stattfinden, dass irgendein Kind die Gewalt abbekommt, vorzugsweise ein bestimmtes Familienmitglied. Diese Familien haben auch Sündenböcke, die allerdings tatsächlich auch schneller mal wechseln können, da es um eine generelle psychische Erleichterung der Täter geht. Die restliche Familie wird durch sowas aber sehr häufig eher zusammengeschweißt, da sie alle tyrannisiert werden – z.B. ganz klischeehaft: der Vater ist Alkoholiker und verübt körperlichen Missbrauch an allen, je nachdem wer gerade da ist.
Und das ist auch in keinster Weise zu verharmlosen, denn auch hier kann es zu extremer Gewalt kommen und auch zu Suiziden usw. Und es kann durchaus sein, dass ein Familienmitglied eine schwere Suchtthematik hat und hier noch körperliche Gewaltbereitschaft mit Narzissmus, Sadismus, Psychopathie und weiterem zusammenkommt.
Und natürlich kann es auf der anderen Seite auch sein, dass Eltern tatsächlich einfach nur überfordert sind oder dass auch Kinder tatsächlich mal eine Erkrankung oder Behinderung haben, die viel Aufmerksamkeit von den Eltern benötigt und dadurch ein anderes Kind völlig vernachlässigt wird. Aber in der Regel haben normal-gesunde Eltern (in Bezug auf Narzissmus normal-gesund) einen Schutzreflex ihren Kindern gegenüber.
Das Verhalten ist grundsätzlich ein anderes, als bei narzisstischen Eltern.
Mein Thema ist der Sündenbockmissbrauch und das damit einhergehende Verratstrauma der zum Sündenbock gemachten Menschen in narzisstisch geprägten Familiensystemen, in denen der Missbrauch vorwiegend psychisch erfolgt (kann begleitet werden von körperlichem und sexuellem Missbrauch, muss aber nicht) und dadurch weder dem Sündenbock geglaubt wird noch er sich überhaupt erstmal adäquat ausdrücken kann. Und in narzisstisch geprägten Familiensystemen haben wir es mit Merkmalen zu tun, die geprägt sind von:
– der Projektion des Narzissten
– von Narrativen um den Sündenbock, um ihn im Außen zu diskreditieren
– und innerhalb der Familie läuft viel Triangulierung ab, durch die die Goldkinder auf die Position des Narzissten gehoben werden und absichtlich ein Keil zwischen die Geschwister getrieben wird.
– häufig gibt es Parentifizierung, weil narzisstische Eltern keine Verantwortung übernehmen möchten usw.
Alles ist für vor allem den Sündenbock sehr traumatisierend, manchmal gibt es auch ein ungesehenes Kind, was immer nur mitläuft, aber nicht ständig die Schuld und Verantwortung tragen muss, auch das ist sehr traumatisierend und sehr schwierig hier z.B. eine Identität zu bilden uns. Das ist es mit Narzissten für Kinder aber tatsächlich immer, egal in welcher Rolle, da sie nicht gespiegelt werden, wie sie sind, um sich selbst zu erfahren, sondern in Narrativen leben und innerhalb dieser Narrative eigentlich machen können, was sie wollen, sie kommen da nicht raus. Auch hier werden Geschwister trianguliert und zu Flying Monkey (also aktiven Mittätern missbraucht) oder zu Enablern, weil sie sich heraushalten, z.B. aus Angst.
Durch diese Verhaltensweisen wird der Mobbingcharakter und die Isolation des Sündenbockes als ein minderwertiger Mensch vollzogen, bei dem die anderen Geschwister in der Regel – wie die Gruppe an Schülern oder Kollegen, in der gemobbt wird – sich Gründe zurechtlegen bzw. über den Narzissten zurechtgelegt bekommen, warum diese Art der Behandlung des Sündenbockes völlig legitim ist. Und durch die Sichtbarkeit des Sündenbockes in seinem Opferdasein, wird er so derart beschämt, dass ihm die Möglichkeit des Hilfeholens schon fast völlig genommen wird. Denn keiner möchte sagen: Ich bin ein Opfer.
Zudem wird er zum Musterbeispiel für das, was theoretisch mit jedem passieren könnte, der nicht mitspielt und das will keiner. Auch den anderen Familienmitgliedern wird durch den Sündenbock eine psychologische Erleichterung zuteil, denn er alleine ist Schuld an allem und trägt die volle Verantwortung. Zudem gibt es ein Machtgefälle, in dessen Unsichtbarkeit und Legitimation Triebe ausgelebt werden können, die man normalerweise in gesunden und dynamischen Gruppen, in denen Regeln zum Schutz aller gelten, nicht hätte.
Opfer vs. narzisstische Opferhaltung
Wer sich nun ein bisschen mit Narzissmus auskennt, wird sich an dieser Stelle fragen, wieso manche Menschen immer das Opfer spielen – also entgegen dem, was ich gerade gesagt habe, dass kein Mensch als Opfer dastehen möchte, doch als Opfer dastehen möchten.
Wenn wir uns ein wahres Opfer ansehen, dann kann dieses niemals etwas dafür, zum Opfer gemacht worden zu sein. Das Problem, das wahre Opfer aber oft haben ist, dass Menschen das Gefühl in sich nicht leiden können, selbst in eine Opfersituation geraten zu können, und in ihnen das Gefühl der Machtlosigkeit und der Angst auslöst. Wenn jmdm. die Handtasche oder das Fahrrad geklaut wird, wird derjenige häufig erstmal gefragt, ob er vielleicht nicht richtig aufgepasst hat, oder ob er das Fahrrad auch wirklich sicher angeschlossen hätte. Vergewaltigungsopfer werden gefragt, ob sie vielleicht einen zu kurzen Rock getragen hätten oder ob sie vielleicht einen zu unsicheren und dunklen Nachhauseweg gewählt hätten. Das nennt man Victim blaming. In dem Moment muss das Opfer sich rechtfertigen und sich fragen, ob es selbst eine Mitschuld an der Tat hat, anstatt die Situation zu sehen, wie sie tatsächlich ist: Es gab eine Straftat, für die alleine der Täter als erwachsener schuldfähiger Mensch verantwortlich ist. Das Opfer wird dadurch sehr beschämt. Und in der Coachingszene gibt es auch so Ratschläge, wie:
– „Du musst dir selbst verzeihen.“
– Oder: „Verzeihe dem Täter, denn mit deinem Groll schadest du dir nur selbst.“
– Oder: „Übernimm endlich die Verantwortung für dein Leben. Du kannst doch nicht das ewige Opfer sein.“
Jetzt wissen wir aber, dass vor allem verdeckte Narzissten immer das Opfer spielen. Warum kommen die damit durch, obwohl sie ja genau kein Opfer sind?
Die Opferhaltung an sich ist bereits von mehreren manipulativen Nebentaktiken begleitet. Sie funktioniert in etwa wie folgt. Wir gehen direkt auf das Beispiel mit einem Sündenbockkind ein, denn daran wird direkt die Täter-Opfer-Umkehr klar:
– Der Narzisst behauptet, das Sündenbockkind sei irgendwie falsch, krank, aggressiv, schwer erziehbar oder ähnliches (Narrativ über den Sündenbock).
– Er behauptet zudem, selbst alles für dieses Kind getan zu haben, was in seiner Macht steht, und sich leider nun keinen Rat mehr wisse. Es handelt sich dabei um eine Lüge, denn in der Realität werden Sündenbockkinder auf die eine oder andere Art und Weise schwer vernachlässigt, vor allem emotional. Dennoch löst diese Aussage im Gegenüber keine Abwehr aus, sondern Mitgefühl dem Narzissten gegenüber. Denn derjenige sagt damit, er habe sich sehr bemüht, geradezu aufgeopfert, selbst Nachteile in Kauf genommen, um Lösungen zu finden, und schafft es aber einfach nicht, gegen das kranke / böse / schwer erziehbare Kind durchzukommen. Er wird dadurch zu jmd., dem man bei der Lösung irgendwie helfen und den man unterstützen möchte, da er dadurch die Frage, ob er nicht vielleicht selbst einen Anteil hat, beantwortet – und zwar damit, schon ALLES getan zu haben, aber leider gerade bei diesem Kind einfach nichts funktionieren kann.
– Das Opfer wird gleichzeitig als Täter dargestellt: OBWOHL der Narzisst sich so viel Mühe mit ihm gibt, dankt es ihm der Sündenbock nach seinen Aussagen nicht. Der Narzisst wird dadurch ein Opfer des Sündenbocks. Wer genauer hinschaut, müsste sich aber die Frage stellen, ob es tatsächlich sein kann, dass erwachsene Eltern immer das Opfer eines z.B. Zehnjährigen Kindes sein können… Es ist meiner Ansicht nach immer sehr verdächtig, wenn Eltern im Außen über eines ihrer Kinder schlecht reden und es als irgendwie krank oder gestört hinstellen. Normalgesunde Eltern tun das nicht, selbst wenn das Kind tatsächlich Beeinträchtigungen hat. Sowas hat nur einen Zweck: Zufuhr (also Anerkennung) zu bekommen.
– Oft stellen sich narzisstische Eltern noch während sie über das Sündenbockkind mit irgendeinem Nachbarn lästern selbst so dar, als hätten sie nicht nur alles getan und als wäre das Sündenbockkind nicht nur der Täter, sondern auch als wollten sie das Kind schützen. Das kann zum Beispiel sowas sein, wie: „Mein Sohn hat xy gemacht, aber was soll ich tun? Ich kann ihn ja nicht bei der Polizei anschwärzen.“ Genau genommen tut derjenige es gerade und noch dazu häufig mit 10% Wahrheit und 90% Lüge… Könnte man hier hinter die Kulissen sehen, würde schnell klar werden, dass der Narzisst / die Narzisstin nicht mal genau weiß, worüber er oder sie da gerade redet, und wahrscheinlich nicht mal mit dem Kind selbst darüber geredet hat, um eine Lösung zu finden, die das Kind nicht nach außen beschämt.
– Der x-beliebige Nachbar, bei dem der narzisstische Elternteil gerade alles andere tut, als sein Kind zu schützen, springt vielleicht unbewusst auf den Zug auf und verschafft sich durch die Lästereien selbst psychologische Erleichterung.
– Vielleicht ahnt der Nachbar aber auch unbewusst schon, dass es nicht normal ist, wenn jmd. über sein Kind im Außen ablästert, will sich aber nicht einmischen und hilft dem Kind nicht oder sagt nichts gegen die narzisstischen Lästereien, was in ihm ein Schuldgefühl auslösen könnte und darüber distanziert er sich von der Familie – und fällt als Unterstützung für das Kind dadurch auch weg.
Gerade verdeckte Narzissten wollen supportet werden (da mache ich nochmal ganze Folgen drüber und auch über diese Art der Manipulation). Über die genannten Mechanismen stellen sie sich so hin, dass das Mitgefühl der Menschen um sie herum greift und sie bekommen, was sie brauchen: Zufuhr, gepaart mit Macht- und Kontrollgefühl. Es handelt sich, wie oben schonmal ganz grob geschildert, um eine sehr geschickte Manipulation. Meiner Ansicht nach ist es gut, wenn Menschen, die narzisstischen Missbrauch erlebt haben, sich tatsächlich mal als Opfer sehen können. Denn häufig haben sie ja die gesamte Verantwortung für alles getragen und immer nach Lösungen für die bestehenden Probleme gesucht. Sie sind nie in einer Opferhaltung gewesen. Viele Therapeuten raten davon ab, weil sie der Meinung sind, man verfalle dann schnell in eine grundsätzliche Opferhaltung, aus der man nur schwer herauskäme. Ich denke, auch hier gibt es einen Unterschied zu beachten zwischen denjenigen, die von ihrem Trauma heilen möchten, was sehr langsam gehen kann und seine eigene Zeit braucht (und in dieser Entwicklung einen emotionalen Schutzraum vom Therapeuten erhalten sollten, in dem sie darüber trauern dürfen, dass sie zum Opfer geworden sind, ohne sie erneut zu beschämen, dass irgendetwas zu langsam gehe), und auf der anderen Seite der narzisstischen Opferhaltung mit dem eigentlichen Ziel der Zufuhr und des Wunsches nach grundsätzlichem und permanenten Support. Die Erarbeitung der Unterschiede überlasse ich jedoch an dieser Stelle Therapeuten, die dazu ausgebildet sein müssen, um tatsächliche Opfer nicht zu retraumatisieren. Das würde in dieser Folge auch mehr als zu weit führen, hierauf jetzt nochmal näher einzugehen, weshalb wir nun zur Zusammenfassung kommen.
Zusammenfassung
Gesunde Gruppen haben eine organisierte Struktur mit einer geregelten Machtverteilung, mit geregelten Verantwortungsbereichen und bestimmten Regelwerken, die für alle gleich gelten. Gesunde Gruppenschätzen den Wert einer Gegenposition bzw. einer Sicht auf die Dinge, die auf Schwierigkeiten hinweist, die die anderen Gruppenmitglieder nicht unbedingt bedacht oder gesehen haben. Gesunde Gruppen sind trotz ihrer geregelten Struktur dynamisch. Sie brauchen keinen Sündenbock, da ihr Ziel ein Ziel im außen ist, und das Hauptziel nicht die Stabilisierung der Gruppe ist.
In sich in irgendeiner Form instabile Gruppen benötigen einen Sündenbock, da sie darüber eine Gruppenstabilisierung und ein Zugehörigkeitsgefühl zur Gruppe selbst bekommen. Zudem wird die Verantwortung abgegeben, und darüber wird eine Lösungsfindung zum Nachteil des Sündenbockes und zum Vorteil der Gruppe absichtlich abgewehrt. In narzisstischen Gruppen geht es vorwiegend um die Stabilisierung des Narzissten und der Gruppe selbst. Die Gruppe ist über Rollen strukturiert, und bleibt starr, also undynamisch, was zur Folge hat, dass Regeln nicht für alle gleich gelten (sonst gäbe es keinen SB, sondern Lösungen, die alle als Individuum beschützen).
Narzissten neigen zudem dazu, ihre Narrative auch im außen zu streuen, um der Aufdeckung des Missbrauchs am Sündenbock vorzubeugen. Das heißt, auch Menschen außerhalb der Gruppe werden wahllos mit in das Geschehen einbezogen, wodurch die Gruppe um den SB zu einer Masse wird, die in sich noch schädlicher für ihn ist.
Mobbing hat immer etwas mit der Gruppe zu tun. Mobbing wird erst durch die Gruppe möglich, also das, was sie tun und vor allem auch durch das, was sie lassen. Die Gammas in gesunden Strukturen werden in narzisstischen Strukturen zu Flying Monkeys und Enablern. Wie sich das Mobbing durch sie genau äußert, hängt von der Zusammensetzung der Charaktere und den individuellen Umständen und Zielen der Beteiligten ab.
Wichtig zu verstehen ist, dass es Unterschiede gibt zwischen einem wahren Opfer und einer Opferhaltung. Leider verstehen viele Menschen diesen Unterschied noch nicht, möchten niemandem etwas Falsches unterstellen und haben vielleicht tatsächlich gute Absichten. Aber man kann die Mechanismen verstehen, wenn man pathologisches Verhalten und gesundes Verhalten gegenüberstellt, um konkrete Unterschiede festmachen zu können.
Handlungsfähigkeiten des Sündenbocks
Wenn du selbst in einer solchen Situation gerade bist oder bereits warst, vielleicht sogar als Sündenbockkind in einer sehr narzisstisch geprägten Familie aufgewachsen bist, könnten mögliche Lösungen folgende Punkte beinhalten:
Eine Akutbegleitung in Form der Telefonseelsorge, eines Klinikaufenthaltes (je nachdem, wie schwer die Folgen für dich aktuell sind), oder auch ein traumasensibles Coaching (in dem nicht in die Tiefe gegangen wird, sondern Stabilisierungsübungen, Erarbeitung von Ressourcen und ein verständnisvolles, offenes Ohr angeboten wird). Manchmal gibt es auch kostenlose Stammtische oder Onlinetreffen, die sehr unterstützend sein können.
Traumatherapie, spezialisiert auf Narzissmusopfer oder Bindungs- und Entwicklungstraumata. Informiere dich ruhig mal bei deiner Krankenkasse über mögliche Therapieangebote. Selbstzahler können auch – häufig sogar schneller – zu einem Heilpraktiker für Psychotherapie gehen, bzw. die Zeit bis zum Therapiestart dort überbrücken.
Du kannst die Situation jederzeit so gut wie möglich verlassen – den Job wechseln oder den Kontaktabbruch in Erwägung ziehen, was jedoch nicht immer der sinnvollste Weg ist. Nimm dir gerne eine Beratung an die Seite, wenn nötig, um für dich die beste individuelle Lösung zu finden.
Zudem würde ich die Situationen inkl. Datum, Uhrzeiten, Umständen und beteiligten Personen immer so genau wie möglich dokumentieren, auch mit Screenshots usw., dass du alles belegen kannst, wenn es um die Wurst geht und du vielleicht als irgendetwas hingestellt wirst.
Journaling machen – welche Gedanken und Körperempfindungen hast du gerade? Es ist wichtig, dass das nicht verloren geht, um mit der Zeit immer besser, adäquater und gesünder für dich sorgen zu können. Zur psychischen Entlastung kann man auch Journaling im Sinne des „Expressiven Schreibens“ nach James W. Pennebaker machen. Am besten täglich – und darin ca. 20 Minuten alles rauszuschreiben, ohne Punkt, Komma und Schönschrift, was dich innerlich gerade belastet. Das Geschriebene wird anschließend vernichtet – also geschreddert oder verbrannt (bitte auf Brandschutz achten über einem Eimer Wasser im Freien oder so).
Dich sehr gut und wohlwollend auch ansonsten um dich kümmern, z.B. Yoga machen, mit deinem Haustier kuscheln, Freunde treffen, Sport machen, ein schönes Bad nehmen usw. und dir einen SafeSpace zu kreieren.
Und vergiss nicht, genug zu trinken, zu essen und zu schlafen, wenn möglich.
Solltest du selbst betroffen sein von psychischem Missbrauch / Mobbing, dann hole dir bitte unbedingt wohlwollende Unterstützung an die Seite von jmd., der sich mit der Thematik auskennt und dir auch das Gefühl geben kann, dass du bei demjenigen gut aufgehoben bist. Du solltest eine gute Psychoedukation – auch bzgl. möglicher Vorgehensweisen mit solchen Menschen, die das tun und Regulationstechniken – erhalten können, um aus einer solchen Situation so schnell wie möglich heraus zu kommen. Denn auch starke Menschen mit einem gefestigten Umfeld können unter Mobbing sehr leiden und psychische oder körperliche Schwierigkeiten bekommen. Du bist nicht alleine!
Quellen:
Röck-Svoboda, Waltraud (Mag.): Das rangdynamische Positionsmodell nach Raoul Schindler – aus gruppen- und organisationsdynamischer Sicht, 1993;
Download: https://www.roeck-svoboda.at/app/download/10946447373/DAS+RANGDYNAMISCHE+POSITIONSMODELL+nach+R.+Schindler_SKRIPTUM+2014+.pdf?t=1544380767 [letztmalig abgerufen am 22.09.2024].
Gini, Gianluca: Bullying as a Social Process: The Role of Group Membership in Students Perception of Bullying and Sense of Safety, Journal of School Psychology, 2006 (Verweis auf Salmivalli, C., Lagerspetz, K., Björkqvist, K., Ö sterman, K., & Kaukiainen, A. (1996). Bullying as a group process: Participant roles and their relations to social status within the group. Aggressive Behavior, 22, 1 – 15.).
Keller, Irmtraud Bräunlich: Mobbing am Arbeitsplatz – wie wehre ich mich? (S.14-15). Beobachter-Edition / Kindle Version, 3. überarbeitete Auflage, 2017, Ringier Axel Springer Schweiz AG (2006).
Kolodej, Christa: Psychologische Selbsthilfe bei Mobbing: Zuversicht, Vertrauen, Veränderung (essentials), Springer Fachmedien Wiesbaden. Kindle-Version, 2018.
Le Bon, Gustave: Psychologie der Massen: Sozialpsychologie (S.29). Musaicum Books. Kindle-Version.
Wikipedia-Eintrag zum Thema „Mob“: https://de.wikipedia.org/wiki/Mob [zuletzt abgerufen 03.11.2024].
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