Dysfunktionale & dysfunktionale narzisstische Familiensysteme
3. März 2024Menschlichkeit als persönliche Richtschnur für den Alltag
16. August 2024Narzissmus | 4 „toxische“ Thesen | Gruppendynamiken | Sündenbockkinder
Was mir immer wieder auffällt und ich sehr schwierig finde ist, dass sich viele Menschen – wie sie selbst sagen – „kritisch“ mit dem Wesen des Narzissmus auseinandersetzen und darüber philosophieren, dass Narzissten ja auch nur Menschen seien und wir uns alle an die eigene Nase fassen müssten. Wir alle hätten schließlich Anteile in uns, die narzisstisch sind. Und wir würden uns vor der Verantwortung drücken, wenn wir alles, was in einer Beziehung schlecht gelaufen ist, dem / der Narzisst:in zuschreiben würden. Sie stören sich daran, dass Narzissten als „das pure Böse“ bezeichnet und dadurch ausgegrenzt werden würden.
Hier möchte ich gerne einmal kurz schwenken und im Anschluss beides als Basis dieses Beitrages zusammenbringen.
In Bezug auf Trauma gibt es nämlich ähnlich schräge Ansätze, wo Dinge geäußert werden wie, dass man manchmal den Eindruck haben könnte, dass langzeittraumatisierte Menschen mit beispielsweise Bindungs- und Entwicklungstraumata gar nicht heilen WOLLTEN und sich in ihrem Unheil wähnen.
Und manchmal bin ich wirklich erstaunt, was da für Ansichten kursieren. Ich möchte ganz bestimmt nicht den Eindruck erwecken, dass ich psychologische Zusammenhänge grundsätzlich voll durchschaue, Gott sei Dank gibt es auch immer mehr Menschen, die in ihrem Verständnis aus einem ganz normalen menschlich-empathischen Gefühl heraus handeln und Verständnis zeigen. Zu behaupten, dass man den Eindruck erhalten könnte, dass diese Menschen nicht heilen wollen, zeigt meiner Meinung nach nur das Unvermögen des Gegenübers an, empathisch zu sein.
Wie Cheryl Richardson so schön beschrieben hat: „Menschen beginnen in dem Moment zu heilen, in dem sie sich gesehen fühlen.“
Viele kennen das Thema ausschließlich aus dem Lehrbuch, da sie bei ihren Mitmenschen und Patienten / Klienten die Zusammenhänge der Problematiken gar nicht miteinander verbinden können. Ich bin allerdings davon überzeugt, dass einige davon sehr wohl sehr gravierende Erfahrungen mit ihren Bezugspersonen gemacht haben, aber auch der gesellschaftliche Druck „Man habe seine Eltern zu ehren“ über Vieles hinwegtäuscht, aber zu Tage kommen würde, wenn man weiterbohrt (was wir natürlich nicht wollen). Denn alleine die Unterstellung, dass Traumatisierte nicht heilen wollen ist in sich bereits hoch-toxisch und täuscht nur über das Unwissen dieser Menschen hinweg, indem sie sich „wissend“ überhöhen. Und Menschen, die sich im eigenen Leid wähnen, sind häufig verdeckte Narzisst:innen, die sich gerne als Opfer darstellen und nicht sehen möchten, was sie anderen aktiv antun, wie sie die Menschen um sich herum beispielsweise emotional erpressen usw.
Kommen wir nun zu den 3 Thesen empathischer Menschen, über die ich heute sprechen möchte. Vorab sei gesagt: Es ist in meinen Augen etwas ganz Menschliches und Natürliches, Empathie zu zeigen, auch und gerade für Menschen, bei denen man das Gefühl hat, dass sie ungerecht oder unmenschlich behandelt werden. Das ist die Basis des menschlichen Zusammenlebens, in dem es um Gesundheit, Verbindung und Schutz geht. Anders würde das menschliche Zusammenleben nicht adäquat funktionieren, was wir ja genau an narzisstisch geführten Partnerschaften, Familiensystemen und Gruppendynamiken erkennen können, in denen es immer Stress, Drama, unterschwellige oder offene Aufregung und sehr häufig auch einen psychisch oder emotional wegbrechenden Sündenbock gibt. Die empathische Sicht auf Narzissten ist aber übergriffig und beleidigend im Hinblick auf die Opfer von Narzissten. Und genau hier denke ich, dass wir in einer Gesellschaft leben, die mit Opfern häufig gar nicht so empathisch umgeht, wie mit dem Täter. Mechanismen dahinter sind beispielsweise, dass man niemandem etwas Falsches unterstellen möchte, dass man (in Bezug auf narzisstische Eltern) natürlich eine Familie nicht zerreißen will durch ungerechtfertigte Dinge, da die Familie eines der wichtigsten und schützenswertesten Güter unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens ist, und wir wollen uns nicht zuletzt selbst nicht eingestehen, dass man Opfer werden kann, ohne auch nur die leiseste Mitschuld daran zu haben. Dahinter verbirgt sich das Gefühl der Angst, die Kontrolle selbst mal verlieren zu können und schwach, verletzlich zu sein. Es ist aber wichtig, das Thema aus Sicht der Opfer anzugehen, nicht aus Sicht des Täters.
Ok, jetzt zu den Thesen 🙂
These #1
Eine häufige These empathischer Menschen lautet, dass man damit, jemandem das Label „Narzisst:in“ aufzudrücken, den Menschen hinter diesem Label und hinter dessen Handlungen nicht mehr sehen würde. Ok, setzen wir uns damit einmal kurz auseinander. Vieles von dem hier Beschriebenen ist natürlich nur meine persönliche Meinung, jeder hat das Recht auf seine eigene. Meine Gedanken dazu möchte ich jedoch sehr gerne teilen:
Grundsätzlich wird die Narzisstische Persönlichkeitsstörung und der Begriff Narzissmus häufig in einen Topf geworfen. Die NPS ist eine Diagnose, die nur von dazu berechtigten und ausgebildeten Fachleiten gestellt werden darf. Zudem dient eine Diagnose nicht dazu, jemandem ein Label aufzuerlegen, sondern festzustellen, worunter jemand leidet, wenn er Unterstützung benötigt, und eine Diagnose dient auch dazu, eine geeignete Unterstützungstrategie zur Linderung oder Heilung dieser Leiden zu finden und an dem Patienten mit dem Ziel der größtmöglichen Genesung anzuwenden. Es geht also bei einer Diagnose um diese Person selbst und darum, ihr adäquat zu helfen.
Der Begriff Narzissmus hingegen meint eine Persönlichkeitsstruktur, die natürlich in ihrer Extremform und mit einer vom Fachmann gestellten Diagnose durchaus eine NPS sein kann. Narzissmus als Solches wirkt aber zunächst einmal sehr häufig auf einem sich auf ANDERE negativ auswirkenden Spektrum, das geprägt ist von mehreren Faktoren:
- Empathielosigkeit
- Anspruchsdenken („Ich nehme mir, was ich will, weil es mir mehr zusteht als dir.“)
- Verantwortungslosigkeit
- Grandiositätsgebahren
- Arroganz und Oberflächlichkeit
- Egozentrik
- der stetigen Suche nach Bewunderung, Anerkennung und Bestätigung
- Neid
- und häufig auch zwei Gesichtern, nämlich das nach Bestätigung strebende Gesicht in der Öffentlichkeit und das (gegebenenfalls) missbrauchende Gesicht im privaten Bereich speziellen Menschen gegenüber.
Von dieser Basis müssen wir also ausgehen, wenn wir uns über Narzissmus und narzisstischen Missbrauch unterhalten.
Und genau darum geht es mir in meinen Beiträgen: nämlich in aller erster Linie darum, den Missbrauch erkennbarer zu machen und diesen in Worte fassen zu können, um sich selbst besser helfen zu können und sich helfen lassen zu können, und natürlich auch darum, den Missbrauch erkennbarer zu machen für Menschen, die nicht in solch einer Situation sind und helfen könnten. Um es also noch einmal ganz konkret zu betonen: Ich meine hiermit nicht Menschen, die einzelne oben genannte Persönlichkeitsmerkmale ein wenig ausgeprägter haben, als andere, und eben hier und da mal neidisch sind, oder mal arrogant oder sich hier und da mal im Ton vergreifen. Mir geht es ganz konkret darum, dass Narzissmus die Basis einer Persönlichkeitsstruktur bildet, die sich in Bezug auf ganz spezielle einzelne Menschen antisozial und missbräuchlich auswirken, und das mit extremen Folgen, die zum Teil ganze Leben oder Lebensbereiche zerstören können, oder wofür die Betroffenen sehr lange brauchen, um wieder ein zufriedenes Leben führen zu können. Mir geht es um ausgeklügelte psychologische Taktiken, die dazu führen, dass jemand zu einem tatsächlichen Opfer werden kann, das auch nicht den leisesten Funken an Mitschuld dafür trägt. Und daraus können wiederum schwere Traumata entstehen, und hier verbinde ich einmal konkret die beiden vorgenannten Themenbereiche.
Es geht also zumindest mir nicht darum, irgendjemanden anzuprangern, nur weil er vielleicht anderer Meinung ist oder er Eigenschaften hat, die ich nicht richtig fände. Was ich damit meine ist, dass ich hier nicht über Menschen schreibe, die einfach nur nach Bewunderung streben oder Anerkennung suchen und dafür etwas tun, worauf man wirklich stolz sein kann oder die sich gesellschaftlich einbringen und daraus ihre Anerkennung ziehen. Ich meine auch nicht, dass ich Menschen, die einfach ein neidvolles Verhalten an den Tag legen oder mit Menschen auf eine eher mürrische Art sprechen, wo man sich vielleicht nicht so wohl mit fühlt.
Und um noch einen weiteren Punkt zu benennen, den ich wichtig finde: Auch Narzissten sind in der Regel traumatisiert, tragen Bindungs- und Entwicklungstraumata. Die Störung ist nicht „angeboren“, sondern ein Resultat von etwas, das auf sie eingewirkt hat. Nur dass sie einen Weg gewählt haben, um dieses Leid weiterzugeben, und damit nicht besser sind, als das, was ihnen selbst widerfahren ist. In Bezug auf die Narzisstische Persönlichkeitsstörung (also die Diagnose) zieht Otto Kernberg hier den direkten Zusammenhang zwischen Borderline-Persönlichkeit und Narzisstischer Persönlichkeit mit Gemeinsamkeiten und Unterschieden [Quelle s.u.]. Die narzisstische Persönlichkeitsstörung ist sehr häufig (nicht immer) im Grunde für den Betroffenen selbst „funktionaler“ als ohne den narzisstischen „Aufsatz“ auf eine Borderline-Störung. Und über Borderline-Störungen weiß man mittlerweile,
„dass 80% der Patienten mit der Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung zugleich die diagnostischen Kriterien für eine Komplexe Posttraumatische Belastungsstörung erfüllten (Prävalenz). Ein sehr großer Anteil (96%) der Patienten mit einer Borderlinestörung berichtete über traumatische Erfahrungen in der Kindheit, wie Vernachlässigung, physische und / oder sexualisierte Gewalt, erhoben mit dem TAQ (Herman & van der Kolk, 1987) [Zitat aus: Seidler, Freyberger, Glaesmer, Gahleitner: Handbuch der Psychotraumatologie, Klett-Cotta, Stuttgart, 4. Auflage 2021].“
Dies soll hier an dieser Stelle aber ausreichen, um die Beziehung von Borderline- und Narzisstischer Persönlichkeit herzustellen und darüber auch über Traumata bei sehr stark narzisstischen Menschen. Über die Borderline-Persönlichkeitsstruktur ist es zudem vielleicht etwas bekannter, dass hier spezielle psychodynamische Abwehrmechanismen wirken, von denen es eben starke Überschneidungen, aber auch Unterschiede zur NPS gibt. Worum es mir ja aber hier geht, ist nicht die Diagnose, und auch nicht Menschen, die einfach nur Anteile haben, die man als mehr oder weniger narzisstisch darstellen kann. Sondern mir geht es um Handlungen, die absichtlich antisozial und schädigend anderen Personen gegenüber verübt werden und das meist langzeitausgerichtet, mit dem Ziel der Destabilisierung und Ausbeutung einer anderen Person.
Mit diesen Menschen ist meist keine echte Verbindung oder gar Intimität möglich, derjenige stellt Vertrauen her, um es niederträchtig auszunutzen und eigennützige Ziele zu verfolgen.
Wichtig ist mir dabei zu betonen, dass dies NICHT nur Partnerschaften betrifft, wie es durch die meist partnerschaftlich ausgerichteten Aufklärungsarbeiten scheinen mag. Es können alle Lebensbereiche betroffen sein, auch der Job, andere soziale Gruppen und auch und gerade – was für mich das Allerschlimmste ist – die Familie, wenn narzisstische Eltern ein Kind zum Sündenbock machen, der ihn und die Familie stabilisieren muss.
Was durch solche stark narzisstische Menschen für die Opfer passiert ist, dass grundMENSCHLICHE Mechanismen ABSICHTLICH ausgehebelt werden, die das Opfer selbst NICHT einfach ausgleichen KANN. Und genau das ist es, das Narzissten ihr Machtgefühl gibt. Eine besondere Regel hierbei lautet, dass Narzissten gerne das mit anderen tun, wovor sie selbst die größte Angst haben. Wo normal-gesunde Menschen genau die Grenze sehen, da sie anderen nicht wehtun möchten, da ihnen das ein Stück weit selbst wehtun würde, weil sie dahingehend empathiefähig sind, setzen Narzissten erst an und überschreiten mit voller Absicht und wissentlich genau das, weil sie sich am Leid anderer hochziehen. Eines ihrer Ziele ist also das Leid dieser einen Person. Sie bekommen dadurch einen Macht-push, ihre sogenannte Zufuhr.
Und das ist nicht gesellschaftsfähig, sondern es ist antisozial, es ist sehr schlimmes Mobbing und tatsächlich unmenschlich. Während sich das Opfer der Manipulation, der Herabsetzung und des Mobbings immer fragt, was mit ihm nicht stimmt und was es selbst besser machen, bzw. wie es den Konflikt lösen könnte, lacht sich eine:e Narzisst:in ins Fäustchen. und freut sich genau daran, dass es keine Lösung für das Opfer gibt
Womit wir wieder bei der Ausgangsthese angekommen sind, dass man hinter den Handlungen des Narzissten ihn als Mensch nicht mehr wahrnehmen würde. Das Gegenteil ist der Fall. Der Narzisst nimmt das Opfer nicht als Mensch wahr, verunmenschlicht allerdings dadurch nicht nur das Opfer, sondern auch sich selbst!
These #2
Kommen wir zu These Nummer 2: „Derjenige, der anderen Narzissmus zuschreibt, überhöht sich demjenigen gegenüber selbst.“
Hier denke ich, dass es darauf ankommt, von wem und in welchem Zusammenhang das passiert. Ich denke, dass viele Menschen die Tragweite des Themas nicht nachvollziehen können, weshalb ich ja oben bereits einige Zusammenhänge versucht habe, zumindest ein bisschen zugänglich zu machen. Wie bereits gesagt geht es hier um psychologische Takten und Mechanismen, die Narzissten dazu verwenden, die Opfer teilweise sehr, sehr krank zu machen. Sie zerstören damit teilweise ganze Leben und Lebensbereiche der Betroffenen, die Opfer können sich häufig aber nicht einfach helfen, da psychischer Missbrauch häufig gar nicht nachweisbar, geschweigedenn überhaupt erstmal erkennbar und benennbar ist. Wenn man ehrlich ist, rechnet man auch in bestimmten Konstellationen in der Regel nicht mit Missbrauch, wo eigentlich Schutz und Sicherheit herrschen sollte, wie bspw. in Familien und Partnerschaften.
Beispielsweise werden liebenden Eltern die Kinder weggenommen, was das Schlimmste ist, was einem passieren kann. Wie passiert das? Durch Lügen und Halbwahrheiten, die den liebenden Elternteil verleumden, in den Dreck ziehen und auf Basis von Unterstellungen bis hin zu Rufmord Tatsachen völlig verdreht und aus dem Zusammenhang gezogen werden. Hinzu kommt die Manipulation des Umfeldes, wo Narzissten häufig stabil und sympathisch auftreten (2 Gesichter, siehe oben). Durch die Manipulation – vorzugsweise Gaslighting und andere Gehirnwäsche- und Verwirrungstaktiken – wird das Opfer stetig über lange Zeit destabilisiert. Und dadurch kann es als krank und unglaubwürdig hingestellt werden. Wäre der / die Narzisst:in nicht mit einer antisozialen Persönlichkeit anwesend, würden diese Dinge insgesamt erst gar nicht passieren. Normal-gesunde Menschen sind grundsätzlich tendenziell wohlwollend, lösen tendenziell ihre Konflikte etc. Und ich meine mit normal-gesund nicht, dass ich Menschen mit psychischen Erkrankungen hier degradieren möchte. Das Gegenteil ist der Fall, denn gerade narzisstischer Missbrauch ist das, was viele psychische Erkrankungen meiner Ansicht nach überhaupt erst auslöst. Depressionen beispielsweise KÖNNEN (müssen nicht) mit emotionalen Flashbacks verwechselt werden und äußerst belastende Auswirkungen haben.
Das gleiche System wird bei Mobbing im Kollegenkreis verwendet. Narzissten verdrehen auch hier Tatsachen, machen die Arbeit eines bestimmten Opfers nieder, narzisstische Chefs lassen sich vielleicht im Meeting vor allen über die schlechte Arbeit eines Mitarbeiters aus, ob derjenige anwesend ist oder nicht, spielt hierbei gar keine Rolle. Hier können wir Gruppendynamiken erkennen, die es beinahe 1:1 in narzisstisch geprägten Familiensystemen zu finden gibt: Der Chef hat Lieblinksmitarbeiter, die bevorzugt werden und häufig 1 Sündenbock, der alles abkriegt. Mischt sich jemand ein, wird derjenige zum Sündenbock, wo auch vor offenen Drohungen, Gesprächsmitschnitten etc. nicht Halt gemacht wird. Alles, was schief geht, wird dem Sündenbock zugeschrieben, anstatt eine für alle Beteiligten annehmbare Lösung zu finden.
Je nach Stärke des Mobbings, der Gemeinheiten und des Gaslightings, das hier stattfindet und je nach Halt im persönlichen Umfeld des Gemobbten, wird dieser entweder früher oder eben später zu Fall gebracht. Auch die stärksten Persönlichkeiten brechen unter solchen Umständen irgendwann psychisch und teilweise auch körperlich weg. Warum? Weil das unmenschlich, unkollegial und antisozial ist. Normal-gesunde Menschen tun so etwas nicht. Auch wenn jeder mal einen Fehler macht oder sauer wird oder mal etwas Gemeines zu einer anderen Person sagt. Das ist mit Narzissmus nicht gemeint. Narzissten arbeiten strategisch. Sie wollen Konflikte nicht klären, da sie ja genau daraus ihre Zufuhr bekommen, ihren Macht-push. Je schlechter es dem Opfer geht, desto überhöhter, grandioser und machtvoller fühlen sie sich, da sie selbst eine äußerst labile Psyche haben. Es geht um „gewinnen“ und „verlieren“. Es geht um Spaltung. Um Idealisierung und Abwertung. Wenn jemand anderer am Boden liegt, krank ist, eine komplexe posttraumatische Belastungsstörung oder eine andere Diagnose erhält, so hat er selbst NICHT „verloren“ und somit „gewonnen“. Es macht sie glücklich, wenn andere psychisch zusammenbrechen. Und der Preis – auch sein Preis – ist das Verunmenschlichen und das Nicht-Verbinden, das Nicht-Lieben anderer Menschen und auch nicht sich selbst. Das wiederum ruft ein Mitgefühl in empathischen Menschen hervor, das Narzissten anderen gegenüber nie hatten und vermutlich (auch statistisch) nie haben werden. Ausnahmen bestätigen natürlich die Regel, es bleiben aber Ausnahmen. Narzissmus an sich ist aber keine Ausnahme, auch wenn wir nur 0,5 – 3 % statistisch erfassen. Oder anders formuliert: Gerade das bestätigt, dass Narzissten kein Problem haben, mit dem sie sich helfen lassen würden und somit auch nicht in die Statistik einfließen. Wenn überhaupt, dann sind es vielleicht „verdeckt narzisstische“ Menschen, die dann aber eher ihre Depression behandeln lassen bzw. behandelt bekommen. Und Zuhause geht es dann weiter damit, auf die Tochter den eigenen Selbsthass zu projizieren und sie in den Wahnsinn zu treiben, bis sie in die Essstörung fällt oder wegen einem sonstigen psychischen Notfall in die Klinik muss. Denn subsummiert ist das, was sie mit ihren Opfern tun Missbrauch. Und Fremdgefährdung sollte auch auf psychologischer Ebene strafbar sein.
Etwas anderes wäre es, wenn Narzissten sich helfen und therapieren lassen, WEIL SIE SELBST ES WOLLEN und um keinen Schaden mehr bei anderen anzurichten, sich vielleicht sogar selbst Liebe wünschen und wahre Intimität. DANN wäre es natürlich wichtig hinzuschauen, wo dieser Mensch selbst traumatisiert ist und wie man ihm helfen kann, diese Mechanismen loszuwerden. Es gibt hier auch Therapieansätze, die wohl über die Zeit gut funktionieren können. Aber genau das ist der Punkt: Sie sind nicht zu vergleichen mit anderen psychischen Diagnosen, da sie ihre ungeheilten Traumatisierungen in (psychischer) Gewalt an anderen ausleben und daran sogar häufig noch Freude empfinden. Und in der Regel haben SIE dadurch KEIN Problem und lassen sich NICHT behandeln.
Ich denke, das anzuprangern und zur Aufklärung diesbezüglich beizutragen, ist keine Überhöhung des eigenen Selbst über Narzissten. Es ist das Gegenteil: Die Opfer sind es, die die Verantwortung immer getragen haben, da der Narzisst, der sie zumindest mittragen müsste, es NICHT tut und nie getan hat. Die Opfer sind es, die in Therapien und Kliniken gehen (müssen), da sie ihr Leben sonst nicht mehr auf die Reihe bekommen, sehr krank werden und grundmenschliche Dinge einfach ausgehebelt werden. Normal-gesunde Menschen (in Bezug auf Narzissmus) möchten die Grenzen anderer nicht durchschreiten oder ihnen wehtun. Normal-gesunde Menschen möchten in Frieden und Gemeinschaft leben. Deshalb klären sie in der Regel Konflikte, es ist nicht nötig, sich einfach nur unterzuordnen. Deshalb schließen normal-gesunde Menschen andere nicht aus. Normal-gesunde Menschen leben in Konstrukten, wie Familie, Partnerschaft oder anderen Formen der Gemeinschaft, da sie Liebe, Wärme, Sicherheit und so Vieles mehr bieten. Sie bauen nicht Vertrauen auf, UM ES ABSICHTLICH für das Ausbeuten anderer zu verwenden.
Und um den Kreis zur These Nummer 2 zu schließen: Jemand, der behauptet, dass ein Gegenüber ein Narzisst ist, nur weil ihm das Verhalten nicht passt und er den anderen vielleicht nicht mal wirklich kennt, der überhöht sich tatsächlich selbst, stellt sich über den anderen und nutzt den Begriff des Narzissmus für eigene niedere und ERNIEDRIGENDE Zwecke aus, um den anderen als „krank“ darzustellen – eine grundnarzisstische Eigenschaft übrigens……
Wer schon einmal zum Opfer eines tatsächlichen Narzissten geworden ist – egal in welcher Konstellation -, der hat meiner Ansicht nach nicht nur das Recht dazu, das auch so zu benennen, sondern sollte das Thema auch bekannter machen, allerdings:
- OHNE den Opfern eine Retraumatisierung durch Weichwaschung des Missbrauchs zuzumuten
- OHNE den Opfern selbst die Schuld zuzuschreiben
- OHNE noch mehr Verwirrung reinzubringen (wenn irgendwie möglich, denn das Thema ist ja äußerst komplex)
- OHNE die Diagnose der Narzisstischen Persönlichkeitsstörung an jemandem zu stellen, denn das ist wie gesagt Fachleuten vorbehalten und dient im Privatleben tatsächlich nur der Degradierung eines anderen Menschen
- OHNE Menschen konkret in der Öffentlichkeit vorzuführen oder deren Persönlichkeitsrechte nicht zu beachten.
These #3
These Nummer 3 lautet häufig: „Jemand, der einem Narzissten die ganze Beziehungsproblematik anhängt, nimmt sich selbst aus der Verantwortung heraus.“
Ich glaube, auch in dieser Vermutung gibt es gleich mehrere Punkte, die auf Missverständnissen basieren. Erstens geht es hier nicht um einfache Streitigkeiten oder darum, dass man nur kurz zusammen war, weil es einfach nicht gepasst hat oder dass man sich gegenseitig ent-liebt hat, wo vorher Liebe, Verbindung und Intimität war. Das Gegenteil ist der Fall. Vielleicht hast du schon von Lovebombing und Futurefaking gehört. Das sind nur 2 von vielen manipulativen Strategien, die dafür sorgen, dass Narzissten sehr schnell das Vertrauen des anderen bekommen und durch gleichzeitige Idealisierung (Projektion eigener grandioser Anteile auf das Gegenüber) des Narzissten und Übertragung/Gegenübertragung usw. bekommt das Gegenüber schnell das Gefühl von Seelenpartnerschaft und Zugehörigkeit, der großen Liebe sozusagen. Kennt das Gegenüber diese narzisstischen Muster aus der eigenen Kindheit von den eigenen Bezugspersonen, dann fühlt es sich unbewusst noch schneller „Zuhause“ und angekommen. Das Opfer verwechselt Liebe oder Verliebtsein mit Idealisierung und Bewunderung. Es handelt sich nicht um normales Verliebtsein und normales tatsächliches Interesse an der anderen Person. Narzissten versuchen das Gegenüber so schnell wie möglich „einzufangen“ zu welchem Zweck auch immer.
Ein übrigens nicht zu unterschätzendes Problem, das wir gerade bei jungen Frauen haben, die narzisstische Bezugspersonen in der Kindheit hatten ist, dass sie nie geliebt und angenommen waren, wenn sie als Sündenbockkind aufgewachsen sind. Das wiederum öffnet Männern Tür und Tor, die wissen, was sie tun, um junge Frauen in eine Fakepartnerschaft zu ziehen und diese im schlimmsten Fall zu prostituieren. Stichwort: Loverboys. Diese spielen auf social media den Helden, zeigen sich großzügig und als Frauenversteher und sobald die Frau ihnen vertraut (Zeitfenster sind hier nur wenige Monate), dann werden diese Frauen häufig durch diese Manipulationstechniken so hörig gemacht, dass sie sich freiwillig prostituieren und es „für“ ihre große Liebe tun……. Sie haben oft auch wenig Halt, da narzisstische Bezugspersonen (z.B. die Eltern) ja bereits dabei sind, die Schuld hierfür von sich zu weisen, anstatt der Tochter zu helfen, und verleumden sie im Außen. Sie sei ja schließlich schon immer schwer erziehbar, rebellisch oder sonst was gewesen. Und nun habe sie die Familie im Stich gelassen, obwohl die Eltern sich doch immer so aufgeopfert hätten, oder was auch immer diesen Eltern dann einfällt.
Wer genau hat denn hier seine Verantwortung nicht übernommen?
Das junge Mädchen etwa, das Zuhause der Sündenbock und somit ein schweres Mobbingopfer lebenswichtiger Personen war, die emotional schon mal als Erwachsene ihre Verantwortung nicht getragen haben, sondern sogar Täter psychischen Missbrauchs waren mit allen schlimmen Folgen für die Tochter? Ich frage gerne noch einmal konkret: Kann man wirklich auf die Idee kommen, dass das Mädchen selbst daran Schuld ist, wenn sie sich von einem in der Regel viel älteren Mann, der darauf geschult ist, genau solche jungen Frauen einzufangen, manipulieren lässt, nur weil sie sonst niemanden hat und sich endlich nach der jahrelangen Tortur Zuhause geliebt und angenommen fühlt? Loverboy-Missbrauch als organisierte Kriminalität ist übrigens mittlerweile eine von 5 Traumaarten.
Es gibt viele weitere Beispiele, an denen nur für Menschen klar wird, welche schrecklichen Auswirkungen narzisstischer Missbrauch auf Betroffene haben kann, die sich ernsthaft mit der Thematik – und vor allem der Opferseite – beschäftigt haben. In der systemischen Therapie gibt es zum Beispiel den sogenannten „Indexpatienten“ – in der Regel eines der Kinder, das eine Krankheit oder erhebliche Verhaltensauffälligkeiten besitzt bzw. von dem das im Außen von den Bezugspersonen behauptet wird. Natürlich sind hiervon nicht alle Erkrankungen betroffen, die ein Kind haben kann. Aber an einem solchen Indexpatienten wird über sein Verhalten häufig sehr gut klar, dass das Kind nur das innerhalb der Familie liegende und von den verantwortlichen Erwachsenen nicht aufgearbeitete Problem – z.B. ein Trauma – auf seinen Schultern trägt, worüber sich der Rest der Familie psychisch stabilisiert (!). Nicht, weil das Kind das freiwillig tun würde, sondern weil das passiert, wenn Eltern ihre emotionale Verantwortung nicht übernehmen und überfordert sind. Typisch ist hier, dass Eltern im Außen das Kind irgendwie schlecht machen oder es als krank titulieren oder ständig seine Erkrankung überall benennen und Ähnliches, anstatt es in Schutz zu nehmen.
Typisch ist im Zusammenhang mit Narzissmus überhaupt die Verantwortungslosigkeit desjenigen, der die Verantwortung eigentlich trägt – also z.B. das Mobbing des Chefs einem Mitarbeiter vor allen anderen Kollegen, die Verleumdung des Kindes durch einen Elternteil oder das Ausbeuten des Partners. All das hat nichts mit Schutz zu tun und damit auch nichts mit dem Übernehmen von Verantwortung. Es ist das Gegenteil davon, Verantwortung zu übernehmen.
Was tun die Opfer? Ja, das Kind, das den Sündenbock verkörpern muss, quält sich mit Not-Verhaltensweisen und Kränkungen seiner Würde, die es krank machen. Kinder sind auf diese Welt ja noch nicht vorbereitet. Sie müssen von ihren Eltern erst lernen, mit inneren Konflikten und allem anderen in dieser Welt umzugehen. Sie sind diesbezüglich absolut und in jeder Hinsicht schutzbedürftig, was auch jedem klar sein dürfte. Narzissten ist das im Übrigen auch klar, nur dass sie das eben gerade ausnutzen für ihre eigenen Zwecke. Das Sündenbockkind trägt ALLES FÜR ALLE in der Familie. Der Partner / die Partnerin, die narzisstischem Missbrauch ausgesetzt ist, geht in die Therapie, ebenso der Mitarbeiter, der gemobbt wird. Und diese Menschen zweifeln unfassbar an sich selbst, sind innerlich destabilisiert, werden vielleicht depressiv (Stichwort „emotionale Flashbacks“ beachten!) oder stellen Schlimmeres an, weil ihnen das Leben nicht mehr lebenswert erscheint, weil ihre Würde völlig zerstört wurde, ihnen aus reiner Boshaftigkeit die Kinder weggenommen wurden, oder sogar sexueller Missbrauch von der ganzen Familie vertuscht und das Opfer verteufelt wird, um die Familie zu stabilisieren usw. Wer hier also von Anfang an die Verantwortung trägt sind die Opfer. Wer sie von Anfang an NICHT trägt und sich nur selbst der Nächste ist, sind Narzissten. Und dass viele Betroffene wieder und wieder in solche Verstrickungen hineingeraten, hat nichts mit fehlender Eigenverantwortung zu tun, sondern höufig mit fehlendem Wissen und Traumadynamiken, die nicht bewusst steuerbar sind (jedenfalls nicht von jetzt auf gleich), wofür sie nichts können, denn selbst Fachpersonen können sich die Tragweite ja häufig nicht vorstellen.
Wer aber sehr wohl etwas für das alles kann, sind diejenigen, die die Verantwortung für ihre absichtlichen Strategien abgeben und sehr bewusst Schaden anrichten, um sich ihre Zufuhr über das Leid des anderen zu verschaffen und sich zu bereichern. Und hier schließt sich meiner Ansicht nach der Kreis für These Nummer 3.
Solltest du selbst betroffen sein von psychischem Missbrauch / Mobbing, dann hole dir bitte unbedingt wohlwollende Unterstützung an die Seite von jmd., der sich mit der Thematik auskennt und dir auch das Gefühl geben kann, dass du bei demjenigen gut aufgehoben bist. Du solltest eine gute Psychoedukation – auch bzgl. möglicher Vorgehensweisen mit solchen Menschen, die das tun und Regulationstechniken – erhalten können, um aus einer solchen Situation so schnell wie möglich heraus zu kommen. Denn auch starke Menschen mit einem gefestigten Umfeld können unter Mobbing sehr leiden und psychische oder körperliche Schwierigkeiten bekommen. Du bist nicht alleine!
Bildquelle: Heart made of Barbed Wired | 4117354 | canva Pro | pixabay
Buchquellen:
- Kernberg, Otto: Borderline-Störungen und pathologischer Narzissmus, Suhrkamp, Frankfurt am Main, 19. Auflage 2019.
- Seidler, Günter, Harald J. Freyberger, Heide Glaesmer, Silke Birgitta Gahleitner (Hrsg.): Handbuch der Psychotraumatologie, Klett-Cotta, Stuttgart, 4. Auflage, 2021.